Engel in Berlin und weit weg

RAPHAEL:

Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;
die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag

GABRIEL:

Und schnell und unbegreiflich schnelle
Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieseshelle
Mit tiefer, schauervoller Nacht.
Es schäumt das Meer in breiten Flüssen
Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
In ewig schnellem Sphärenlauf.

MICHAEL:

Und Stürme brausen um die Wette,
Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,
und bilden wütend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags.

Doch Deine Boten, Herr, verehren
Das sanfte Wandeln Deines Tags.

ZU DREI:

Der Anblick gibt den Engeln Stärke,
Da keiner Dich ergründen mag,
Und alle Deine hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag .

 

Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832

Es ist ja nicht so, das ich nicht schon früher Engelskulpturen in Berlin wahrgenommen hätte. Aber eines Tages musste ich eine Wartezeit überbrücken, weil mein Sohn mit seiner Miezekatze beim Tierarzt saß und ich den Hin- und Rücktransport zu bewerkstelligen hatte. Ich bin dann also, um die Beine zu vertreten, auf einen Friedhof gegangen, der gleich nebenan lag. Da stand er dann, der der meine Serie eröffnete: Er war nicht groß, eine Galvanoplastik, angeschossen im 2. Weltkrieg wahrscheinlich und etwas verbeult, weil er vielleicht umgestürzt war. Es war die Mischung aus Ausdruckskraft der Mimik und Gestik , Patina und anderen Spuren der Zeit, die mich faszinierte. Seither durchstreife ich Berlin, vor allem die vielen Berliner Friedhöfe und das Stadtzentrum. An Friedhöfen gibt es in Berlin immerhin 224. Nicht alle werden noch aktiv genutzt und nur auf einigen von ihnen findet man den einen oder anderen Engel. Aber es sind genug, das man von einer Stadt der Engel sprechen kann, vor allem wenn man die vielen Engel auf Berliner Plätzen, an und auf Gebäuden und in Parks  hinzu zählt. Wim Wenders soll das auch aufgefallen sein und ihn zu seinem berühmten Film "Der Himmel über Berlin" inspiriert haben. Viele dieser beflügelten Wesen, die zahlreiche Bildhauer fantsievoll und ausdrucksstark darstellten, besuche ich wiederholt zu unterschiedlichen Jahres- und Tageszeiten und experimentiere dabei mitunter auch mit verschiedenen fotografischen Techniken. Letztendlich bevorzuge ich dann doch oft schlichtes Schwarzweiß. Zu sehen ist hier nun eine kleine Auswahl.

Jwd ist das Berlinische Kürzel für "ganz weit weg". Meine anfängliche Suche nach Engel in Berlin habe ich mit der Zeit auch auf andere Städte in Deutschland ausgeweitet (auf dem Lande findet ich sie eher selten). Wann immer es sich ergibt suche und finde ich sie auf Plätzen, in Parks und auf Friedhöfen. Ich bin immer wieder fasziniert von der Vielfalt der Darstellungen, der hohen künstlerischen Umsetzungen und der Interpretationen im Laufe der Jahrhunderte und der jeweiligen Regionen.